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Digitale Philologie und der Text des Neuen Testaments – zum Vortrag von Prof. Dr. Holger Strutwolf

von

„Selig der Mann, der in der Versuchung standhält. Denn wenn er sich bewährt, wird er den Kranz des Lebens erhalten, der denen verheißen ist, die Gott lieben.“

Jakobus 1,12 (Einheitsübersetzung 2016)

„Selig ist, wer Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben.“

Jakobus 1,12 (Lutherbibel 2017)

Zwei Mal der zwölfte Vers des ersten Kapitel des Jakobusbriefes aus dem Neuen Testament, jeweils in unterschiedlicher neuhochdeutscher Übersetzung. Doch welche der beiden Fassungen verkündet verlässlicher die Botschaft des Evangeliums? Das Ringen um den richtigen Text beginnt nicht erst mit der Übersetzung, er setzt bereits mit der frühen handschriftlichen Überlieferung seit der Antike ein. Denn beim wiederholten Abschreiben des griechischen Textes ergaben sich an zahlreichen Stellen Abweichungen.

Historisch-kritisch durch die Textvielfalt

Exakt an dieser Stelle lässt sich bei der Erstellung einer historisch-kritischen Edition ansetzen. Wissenschaftler:innen sammeln, sichten und bewerten die einzelnen Abschriften und ihre sprachlichen und inhaltlichen Varianten. Ziel ist es, einen möglichst ursprünglichen Bibeltext zu rekonstruieren und zugleich den Wandel im Wortlaut der Heiligen Schrift nachzuvollziehen. Keine geringe Aufgabe angesichts der mehr als 5700 bekannten Handschriften des griechischen Neuen Testaments! Um hier nicht willkürlich vorzugehen, bedarf es klarer Regeln in der Behandlung der einzelnen Textvarianten. Oft lässt sich die Aufgabe, dem Ursprungstext auf die Spur zu kommen, mit ein wenig Scharfsinn und Kombinationsvermögen lösen.

Blicken wir erneut auf den Brief des Jakobus: Der Codex Alexandrinus bietet eine schlanke Fassung des 12. Verses. Doch findet sich in mehreren Handschriften an Stelle des * zusätzlicher Text. Welche Version ist nun die älteste, anhand welcher Kritierien wäre dies zu entscheiden?

Textzeugen prüfen und bewerten

In einer historisch-kritischen Edition wird zunächst angegeben, welche Handschrift oder Überlieferungsgruppe welche Textvariante aufweist. Dabei wird jeweils nur ein Kürzel (Sigle) angegeben, das auf Standort und Bibliothekssignatur des Manuskripts verweist.

Text der Variante (in Übersetzung)Bezeugung
erP74; A; B; 81; 2344; ff; co; Did
HerrC
der HerrP 5; 307; 436; 442; 642; 1448; 1611; Byz
Gott1175; 1243; 1735; 1739; 1852; 2492; vg; syp; Ath; Did; Cyr
 Erklärung der Bezeugung:   

A       Codex Alexandrinus, 5. Jahrhundert.
B       Codex Vaticanus, einer der besten Handschriften, die wir besitzen
Byz     die byzantinischen Handschriften (Mehrheit der späten Zeugen), dieser späte Text neigt zu Ergänzungen und Verdeutlichungen.
C       Codex Ephaemi rescriptus aus dem 5. Jahrhundert
P       Codex aus Petersburg 9. Jahrhundert
P74    Papyrushandschrift aus dem 7. Jahrhundert
Ath     Athanasius von Alexandrien, Bischof 4. Jahrhundert
Did    Didymus, der Blinde, Kirchenschriftsteller 4. Jahrhundert
Cyr    Cyrill von Alexandrien, Bischof aus dem 5. Jahrhundert
co     Koptische Übersetzung 3. Jahrhundert
syp    Syrische Übersetzung 4./5. Jahrhundert
5 etc. Handschriften mit arabischen Zahlen: so genannte Minuskeln (in Kleinbuchstabenschrift geschrieben) seit dem 9. Jahrhundert nach Christus.

Editorisch entscheiden – ein Selbstversuch

Ihnen liegen nun ausreichend Informationen vor, um eine vorläufige wissenschaftliche Editionsentscheidung zum Jakobusbrief vorzunehmen. Versuchen Sie es einmal selbst: Ziehen Sie in der untenstehenden Grafik die Lösungsbuchstaben nach oben auf den passenden Handschriftenabschnitt. Wenn Sie also der Meinung sind, dass die Variante „Gott“ am ältesten und besten bezeugt ist, bewegen Sie den Buchstaben A auf den letztstehenden Handschriftenausschnitt.

Und Jetzt? Lösungswort einsenden!

Wenn Sie die Aufgabe richtig gelöst haben, senden Sie das Lösungswort bis zum 20. November 2023 an: webquest.DH@uni-muenster.de. Unter den richtigen Einsendungen wird unser attraktiver Hauptgewinn verlost: Eine persönliche Führung durch das Bibelmuseum mit dessen Leiter, Prof. Dr. Holger Strutwolf.

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